Manfred Hellrigl

Ich bin unter Wasser!

 

 

Plötzlich ist alles anders.

Ich bin unter Wasser.

Ziemlich tief unter Wasser.

Langsam zieht mich die Schwerkraft hinunter, Richtung Meeresgrund.

Die Stelle, an der wir tauchen, ist vielleicht sechs oder sieben Meter tief.

Ich spüre den zunehmenden Druck in den Ohren und mache den Druckausgleich.

Dann fühle ich, wie meine Füße endlich den Boden berühren.

Um mich herum die anderen Tauchschüler. 

Und der Tauchlehrer.

Aber ich nehme sie kaum wahr.

Ich bin ganz mit mir selbst beschäftigt.

Ich blicke kurz nach oben zur Wasseroberfläche.

Dort wäre der Ort, wo ich unbeschwert atmen könnte.

Ganz schön weit weg.

Ich merke, wie Panik in mir auftaucht.

Das Atmen fällt mir schwer.

Der Drang aufzutauchen wird immer größer.

Aber die Anweisung lautet, hier zu bleiben.

Verdammt.

Ich bin hin und hergerissen.

Und ich spüre, wie die Spannung in meinem Körper zunimmt.

Was mache ich jetzt bloß?

Mich dazu zwingen, da zu bleiben?

Oder der Panik nachgeben und auftauchen?

Genau in dem Moment erinnere ich mich an sie.

An die erste Anweisung der Sitzmeditation.

»Einatmen. Ausatmen.«

Ich will hoch! 

»Einatmen. Ausatmen.«

Unzählige Male habe ich das schon auf dem Kissen geübt.

Die Konzentration auf den Atem lenken.

Den Atem beobachten.

Aber es ist das erste Mal, dass ich es unter Wasser mache.

Und dabei das Gefühl habe, dass es um Leben und Tod geht.

Ich spüre, wie ich verzweifelt Luft einsauge und sich das irrationale Gefühl breit macht, nicht genug davon zu bekommen.

Ich spüre, wie sich mein Köper verkrampft. 

Ich spüre den wachsenden Widerstand. 

Die aufsteigende Panik.

Und in diesem Moment werde ich mir plötzlich bewusst, dass ich sie betrachten kann.

Die Gefühle.

Die Gedanken.

Und es gelingt mir tatsächlich, bei ihnen zu bleiben.

Mit ihnen zu sein. 

Sie zu fühlen.

Und ihnen zuzuschauen.

Ich versuche, ein ganz klein wenig Spannung loszulassen.

Ein wenig langsamer und länger auszuatmen.

Jetzt kann ich beobachten, wie der Drang, die Aufregung, die Panik, ganz langsam nachlässt.

»Einatmen. Ausatmen.«

Ich spüre, dass es besser wird.

Das Atembetrachten hat plötzlich etwas ganz intimes. Vertrautes. 

Beruhigendes. 

Tröstendes.

Ganz langsam gelingt es mir, mich immer mehr zu entspannen.

Loszulassen.

In diesem Moment, an diesem Ort anzukommen.

Ich atme jetzt noch tiefer. 

Noch langsamer.

Ich kann durchatmen.

Alles ist gut.

Es fühlt sich richtig gut an.

Noch nie war ich dem Atem so nah wie jetzt.

Noch nie war ich so froh und dankbar darüber, Luft zu bekommen.

Noch nie war ich so froh über diesen Rhythmus des Ein- und Ausatmens.

Noch nie war ich so froh darüber, dass ich Zazen übe.

 

 

Bist du heute schon gesessen?