Manfred Hellrigl

Ein Schritt nach dem anderen

Ich bin in Wien und steige aus der Straßenbahn aus.

Da sehe ich vor mir ein altes Ehepaar.

Ich bin von ihrem Anblick ganz gerührt.

Sie sind schon so alt und wackelig, dass sie sich aneinander festhalten müssen.

Trotzdem sind sie auf dem Weg und bewegen sich mit winzig kleinen Schritten vorwärts.

Wie in Zeitlupe!

Sie gehen nicht. Sie trippeln eher.

Die Szene ist irgendwie skurril. 

Rundum der ganze Stress, die Hektik und der Wirbel der Großstadt.

Alle eilen voran und versuchen, möglichst schnell vorwärts zu kommen.

Und da, mitten drinnen, diese beiden Gestalten. 

Wie von einem anderen Stern. Wie aus der Zeit gefallen. 

Sie tun mir irgendwie leid. 

Bei dem Tempo werden sie wohl ewig brauchen, um an ihr Ziel zu kommen, denke ich mir. 

Egal. Ich muss weiter und setze meinen Weg fort. 

Es dauert nicht lange, da habe ich sie vergessen.

Ich komme auf meinem Weg an vielen Läden und Schaufenstern vorbei. 

Bei dem einen oder anderen Geschäft bleibe ich kurz stehen.

Da merke ich zu meiner Verblüffung, dass mich die beiden Alten gerade überholt haben.

Hä? Das kann doch gar nicht sein!

Für einen kurzen Moment bin ich sprachlos.

Wie ist das möglich?

Plötzlich wird mir klar: Da sind mir gerade zwei alte Zen-Meister begegnet.

Sie haben mir, ohne ein Wort zu sagen, etwas wichtiges gelehrt:

Was nützt es uns, kräftig und schnell zu sein, wenn wir unser eigentliches Ziel so schnell aus den Augen verlieren? Wenn wir uns von Kleinigkeiten so leicht ablenken lassen? 

Und andererseits: Ist es nicht erstaunlich und fast unglaublich, was wir selbst mit bescheidensten Mitteln erreichen können, wenn wir fokussiert sind und wissen, wo wir hinwollen?

Und: wenn wir dabei zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen.