Manfred Hellrigl

Die Schlange im Bambusrohr

 

Was für ein grauenvoller Anblick!

In der Küche türmt sich ein riesiger Stapel schmutziges Geschirr.

Seit mindestens einer Woche hat in unserer WG niemand mehr abgewaschen.

Und je größer der Berg wird, umso weniger fühlt sich jemand dafür zuständig.

Studentenleben! Das war damals der Alltag in unserer WG.

Erst wenn es dann irgendwann gar nicht mehr ging, haben wir eine gemeinsame Putzaktion gestartet und die Küche wieder auf Vordermann gebracht.

Als Resultat davon waren wir dann aber so erschöpft, dass der ganze Wahnsinn gleich wieder von vorne anfing.

Trotzdem denke ich sehr gerne an meine Studentenzeit zurück: Das waren damals echte Lernräume.

Niemand, der Vorschriften gemacht hat. Niemand, der gesagt hat, was zu tun ist. Du machst einfach, und schaust, was dann passiert. 

Und irgendwann lernst du die Lektion.

In dem Fall habe ich gelernt:

  • Probleme zu ignorieren macht die Situation nicht besser. Im Gegenteil. Das ist der sichere Weg in die Hölle!
  • Den Tatsachen in die Augen zu schauen ist zwar kurzfristig unangenehm, aber langfristig wesentlich besser.
  • Und: Nur, wenn du die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmst, kannst du aus Erfahrungen lernen.

Am Ende meines Studiums habe ich noch einen eleganteren Weg gefunden, wie man aus Erfahrungen lernen kann: Zen.

In der Zen-Praxis, ganz besonders aber bei einem Sesshin (Retreat), verlassen wir – freiwillig! – die gewohnte Komfortzone. 

Statt es uns möglichst bequem zu machen, setzen wir uns bewusst einer ganz speziellen Situation aus. 

Zennies nennen das: Die Schlange im Bambusrohr.

Im Sesshin müssen wir nicht entscheiden, ob und wann und wie lange wir sitzen, putzen, aufräumen, essen, schlafen, aufstehen etc. Alles ist ganz genau vorgegeben. Vieles ist bis ins letzte Detail geregelt. 

Da bleibt nicht mehr viel Raum für Spielchen. 

Du steckst im Rohr!

Das Verblüffende daran ist, dass wir genau diese Einengung als Befreiung erfahren können.

Du merkst nämlich, dass nicht das Sitzen, das früh Aufstehen, oder das Klo-Putzen das Problem ist, sondern das, was du darüber denkst

Deine innere Haltung. Deine Einstellung. Deine Bequemlichkeit. Dein Widerstand.

Beim Sesshin können wir entdecken, dass es auch einen anderen Weg gibt.

Eine andere innere Haltung, die wir einnehmen können. 

Indem wir uns den Übungsformen hingeben und unseren Widerstand gegen sie loslassen, können sie uns allmählich weich kneten. 

Wir entspannen uns und entdecken, dass uns diese klare Tagesstruktur richtig gut tut. Dass sie uns befreit.

Wenn wir arbeiten, arbeiten wir. Wenn wir essen, essen wir. In den Pausen machen wir Pause. Und wenn wir schlafen, dann schlafen wir. So einfach.

Wir kommen zu uns selbst zurück. Entspannen uns. Finden Ruhe, Kraft und inneren Frieden.  

  • Was sind die schmutzigen Teller, denen du gerne aus dem Weg gehst?
  • Für welche Vermeidungsmuster bist du anfällig?
  • Welches Bambusrohr würde dir gut tun?