Die Weisheit der Pinie
Derzeit bin ich gerade in Florenz.
Italien im Frühling!
Sympathische, herzliche Menschen. Leckeres Essen. Wunderbare Landschaft. Umgeben von inspirierender Kunst und Kultur.
Was für ein Glück!
Auf einem meiner kleinen Streifzüge in der Umgebung bin ich neulich auf Pinienzapfen gestoßen. Und davon möchte ich dir heute erzählen.
Denn die Pinie hat – bei genauerem Hinsehen – einige erstaunliche Geheimnisse zu offenbaren.

Anmut, Eleganz und eine verborgene Ordnung
Pinien und Zypressen, das sind die beiden Bäume, die das Bild der Toskana in besonderer Weise prägen, verleihen sie doch der Landschaft dieses unvergleichliche Gefühl von Anmut und Eleganz.
Und für mich gehören sie genauso zu Italien wie Basilikum, Mozarella und Tomaten.
Die Pinie gehört zu den Föhrengewächsen, die wir auch aus den Wäldern nördlich der Alpen gut kennen.
Das Holz der Pinie ist relativ weich und deshalb nicht so gut als Bau- oder Möbelholz geeignet.
Dafür ist aber der Samen der Pinie, die Pinoli, kulinarisch sehr begehrt, etwa für die Zubereitung von Pesto. Diese Kerne haben sogar den Ruf, eine aphrodisierende Wirkung zu haben.

Sicher kein Zufall, dass ausgerechnet ein gewisser Herr Leonardo Fibonacci (1170-1240) aus dem benachbarten Siena, die geheimnisvolle Sequenz entschlüsselt hat, in der die Schuppen des Pinienzapfens angeordnet sind: Die berühmte Fibonacci-Sequenz.
Es handelt sich dabei um eine mathematische Reihe, die überall in der Natur zu finden ist – von der Spirale einer Galaxie bis zur Anordnung der Blätter einer Pflanze.

Diese verborgene Ordnung im scheinbar Zufälligen erinnert mich an das Leben: Auch wenn uns alles manchmal ganz schön chaotisch erscheint, gibt es dahinter – nicht immer, aber manchmal – einen tieferen Rhythmus, eine verborgene Harmonie zu entdecken.
Wir neigen dazu, nach komplexen Lösungen für die Herausforderungen unseres Lebens zu suchen, während die Natur uns durch solche einfachen Muster lehrt, dass die tiefsten Wahrheiten oft in schlichter Eleganz liegen.
Schon 200 Jahre vor Leonardo Fibonacci war die Kiefer eine wichtige Inspirationsquelle, und zwar für den berühmten chinesischen Maler der Song-Dynastie, Fan Kuan (ca. 960-1030).
Fan Kuan war so fasziniert von diesem Baum, dass er sie in seinen majestätischen Landschaftsbildern verewigt hat.

Symbol für Widerstandsfähigkeit und innere Stärke
Die Pinie oder Föhre gilt – sowohl im Osten als auch im Westen – als Symbol für Widerstandsfähigkeit und innere Stärke inmitten widriger Umstände.
Eine Kiefer wächst nicht selten an Orten, wo andere Bäume aufgeben würden.
Sie wurzelt in felsigem Boden, widersteht Stürmen und bleibt selbst in der Kälte des Winters grün.
Sie liebt Luft, Licht und Sonne, kann aber auch längere Trockenperioden problemlos überstehen.
Ist das nicht eine inspirierende Metapher für unsere Zen-Praxis?
Auch wir kultivieren eine innere Beständigkeit, die uns durch die wechselnden Jahreszeiten des Lebens trägt.
Der Pinienzapfen als Lehrer
Der Pinienzapfen öffnet sich nur, wenn die Bedingungen richtig sind – wenn ihn die richtige Mischung aus Wärme und Trockenheit dazu bringen, seine Samen freizugeben.
Ebenso entfaltet sich unsere wahre Natur, wenn die richtigen Bedingungen dafür vorhanden sind.
Wir können zu diesen Bedingungen einen Beitrag leisten – durch Achtsamkeit, Stille und aufrichtige Praxis.
Der Pinienzapfen lehrt uns auch Geduld.
Ein kleine Samen, der heute keimt, kann zu einem großen Baum heranwachsen, der Jahrhunderte überdauert.
Ein Mönch fragte Meister Zhaozhou: „Was ist der Sinn des Kommens des Patriarchen aus dem Westen?“
Zhaozhou antwortete: „Die Kiefer im Garten.“